Heilung am Ground Zero

Die Ereignisse vom 11. September 2001 liegen mittlerweile viele Jahre zurück. Die US-amerikanische Reiki-Meisterin Raven Keyes erinnert sich an ihren damaligen Einsatz nach der Katastrophe – und berichtet, wie sie inmitten des Desasters Reiki gab.

Als ich in meiner Geburtsstadt New York in der Zeit nach dem 11. September 2001 als Freiwillige mitarbeitete, war ich mir die ganze Zeit über bewusst, wie sehr es mich erfüllte, mit meinen Reiki-Behandlungen all jenen helfen zu können, die dieser Hilfe dringend bedurften. Ich wusste ohne jeden Zweifel, dass es viele Reiki-Praktizierende gab – trotz all des Schmerzes, der überall vorherrschte – die ebenfalls gerne die Möglichkeit gehabt hätten, den Menschen Reiki geben zu können, die durch die Ereignisses des 11. September in einer Weise betroffen waren, wie sie es nie zuvor für möglich gehalten hätten.

Sehr oft zeigte sich, dass Reiki eine wahre Erlösung für die so tief verwundeten Menschen war. Ich denke, dass viele wahrscheinlich nicht überlebt hätten, ohne die spirituelle Heilung, die Reiki ihnen brachte. Der 11. September erschütterte die Menschen tief in ihrer Seele, das erlebte ich immer wieder. Und doch war ich jeden einzelnen Tag dankbar – trotz der vielen Herausforderungen, die das Reiki-Geben am Ground Zero für mich mit sich brachte.

Ich könnte Tausende von Geschichten erzählen, darüber, was dieser Stadt und ihren Bewohnern durch die Ereignisse des 11. September geschehen ist – denen, die hier lebten (oder noch leben) wie auch den Müttern überall in der Welt, die an diesem Tag ihre Kinder verloren haben; Mütter, denen ich begegnet bin und die ich in meinen Armen gehalten habe, als ich im Family Center mitarbeitete. Aus der Vielzahl meiner Erlebnisse möchte ich eine einzelne Geschichte auswählen, um sie hier zu teilen. Sie handelt davon, wie Reiki für eine Person alles verändert hat. Nimmt man diese Geschichte und multipliziert sie mal Tausend, beginnt man vielleicht zu verstehen, was Reiki in dieser Zeit für New York, die USA und die ganze Welt bewirkt hat.

Mitten im Durcheinander

Für die Dauer von drei Monaten, von Anfang Oktober bis Ende Dezember 2001, war ich dem Medical Examiners Office zugeteilt. Therapeuten aus vielen verschiedenen Heilungsrichtungen arbeiteten hier in Schichten, rund um die Uhr. Wir boten unsere Dienste an der Rückseite des Zeltes der Heilsarmee an. Dieses Zelt war auf dem Bürgersteig, direkt gegenüber dem Leichenschauhaus, aufgebaut worden. Alles war sehr behelfsmäßig. Einer unserer Behandlungstische stand auf der Bordsteinkante, direkt neben der Straßenrinne.

Wir trugen Namensanstecker, die uns den Zugang erlaubten zu einem der damals belebtesten Plätze der Stadt, wo alles, was mit Tod zu tun hatte, versammelt war. Es war wie eine Irrenhaus-Szenerie, mit Polizisten und Soldaten, Feuerwehrleuten, dem FBI, ärztlichen Leichenbeschauern, forensischen Spezialisten von überall aus dem Land und Bestattungsunternehmern. Alle rannten die ganze Zeit herum, mit Walkie-Talkies, die ominöse und beängstigende Botschaften plärrten. Der ganze Platz war mehrere Blocks lang, von der First Avenue (an der East 30th Street) bis hinunter zum East River, wo draußen ein riesiges, provisorisches Leichenschauhaus aufgebaut war, weil im Gebäude kein Platz mehr war.

Wir hatten viele Anweisungen erhalten, und eine besonders wichtige war, dass wir alles stehen und liegen zu lassen hatten, um aus dem Zelt zu gehen und zu salutieren, wenn Krankenwagen die Leichen gefallener Feuerwehrleute und Polizisten vom Ground Zero zum Leichenschauhaus brachten. An einem besonders arbeitsreichen Tag, an dem wir öfter als sonst herausgerufen wurden, um zu salutieren, kam ein Feuerwehr-Marschall auf meinen Behandlungstisch. Er hatte nie zuvor von Reiki gehört, aber er war ziemlich fertig, weil einer der Feuerwehrmänner, die er zu identifizieren hatte, in drei Teilen angekommen war. Hier in Manhattan wird ein Feuerwehrmann als Gesetzeshüter betrachtet, deshalb tragen sie Pistolen. Jeder Polizist und jeder Feuerwehrmann, der eine Behandlung, war geradezu besessen davon, zu wissen, wo seine Pistole blieb, während er behandelt wurde.

Meist ließen sie uns ihre Pistolen in den Halftern irgendwo in der Nähe aufhängen, so dass sie sie während der Behandlung sehen konnten. Aber in vielen Fällen gaben wir auch Männern (und Frauen) Reiki, die sich weigerten, ihre Halfter abzulegen, so dass ihre Pistolen während der gesamten Dauer der Reiki-Behandlung direkt an ihrer Seite waren. Und an einem Tag hatte ich einen „Klienten“, diesen Feuerwehr-Marschall, ich nenne ihn hier „Murphy“, der sich nur unter der Bedingung auf den Behandlungstisch legen wollte, dass er seine Pistole direkt unter das Kopfkissen legen könne.

Man muss dazu wissen: Alle waren hart an ihrer Grenze und emotional völlig aufgelöst. Als Therapeuten, die ihre Dienste anboten, lag es an uns, diesen Jungs in dem, was sie als ihren schwächsten Moment betrachteten, zu helfen – zumal sie überredet worden waren, sich darauf einzulassen, sich auf einen der Behandlungstische zu legen. Es war nahezu unmöglich für sie, in irgendeiner Weise ausgeglichen zu sein. Ihre Freunde waren tot, und was war nun zu tun? Eine Massage bekommen? Es war so schwer für sie zuzulassen, dass jemand für sie sorgt, denn es war ja ihre beeidigte Aufgabe, auf die Menschen in der Stadt aufzupassen. Sie waren immerhin die Beschützer unser Stadt. Sie hatten okay zu sein – nicht nur für sich selbst, sondern auch für alle anderen, die sich auf sie verließen.

„Ist das eine Beretta?“

Ich kann den Einsatz-Koordinatoren nicht genug danken, dass sie dafür sorgten, dass diese Jungs auf unsere Behandlungstische kamen. Und so gab ich an diesem Tag tatsächlich Reiki, während eine geladene Pistole unter dem Kopfkissen lag – und, was soll ich sagen, es war eine sehr starke, lebensverändernde Erfahrung, nicht nur für Murphy, sondern auch für mich.

Murphy fiel in einen tiefen Schlaf, und als die Behandlung vorbei war, erzählte er mir, dass dies seine erste richtige Pause gewesen war, seit dem 11. September. Sein Gesicht leuchtete!

Ich erzählte ihm nicht, dass ein Freund von ihm, der an diesem entsetzlichen Tag gestorben war, neben dem Tisch stand, in feinstofflicher Gestalt, und mich wissen ließ, dass er okay sei – und mir sagte, er sei froh über Reiki.

Ich war ziemlich durcheinander, einen verstorbenen Feuerwehrmann gesehen zu haben, und als Murphy nach der Behandlung seine Pistole unter dem Kissen hervorzog, stammelte ich so etwas wie: „Oh, ist das eine Beretta?“ (Das ist der einzige Name für Pistolen, den ich kannte, aus dem Fernsehen.) „Nein,“ sagte er, „es ist eine Smith & Wesson.“

Er schien ziemlich verlegen, weil ich ihm zuvor etwas gegeben hatte, das zweifellos aus dem Land des Friedens stammte. Daher fragte ich ihn nun über seine Pistole aus, um ihn etwas mehr zu entspannen. „Feuert sie einen Schuss nach dem anderen ab?“ „Ja,“ sagte er, „würdest du sie gern mal halten?“ Und ich tat es. Ich hielt tatsächlich eine Pistole in der Hand, weil ich wusste, diesem Mann würde es gut tun, sein Leben gesegnet zu sehen und für weitere Heilung offen zu sein, indem ich akzeptierte, wer er war. Und wer weiß? Vielleicht dachte er, etwas von diesem „Ray-Kay“ (wie er es mit seinem Brooklyn-Akzent aussprach), würde auf seine Feuerwaffe übergehen, so wie es in ihn hineingelangt war.

Tiefe Heilung

Murphy wurde ein großer Fan von Reiki. Er schickte viele New Yorker Feuerwehrleute während dieser Monate auf meinen Behandlungstisch. Wir wurden Freunde für eine lange Zeit. Ich lernte seine Frau kennen und ging sogar auf seine Abschiedsfeier, ein Jahr nachdem Ground Zero aufgeräumt worden war. Ich werde diese Tage niemals vergessen. Und ich werde niemals Murphy vergessen oder einen der anderen Männer, die gekommen waren, weil sie Reiki benötigten, um ihre Herzen, Körper, Geist und Seele zu heilen.

Reiki wurde die Rettung für unzählige Menschen, die zuvor noch nicht einmal davon gehört hatten – bevor sie zu uns kamen, verzweifelt an einer Art von Schmerz, der größer war als alles, was ich jemals zuvor oder seitdem erlebt habe. Es war erstaunlich, Polizisten oder Feuerwehrmänner im Zelt auftauchen zu sehen, die nach einer Weile fragten: „Hey, macht hier irgendwer Reiki?“ Ich hatte sogar einen Mitarbeiter eines Leichenschauhauses da, der die ganze Zeit während seiner Behandlung weinte – und mir am Ende dankte, für die Entlastung. Und dann, in seinem breiten Südstaaten-Akzent hinzufügte: „Miss Raven, es gibt nur eine Massage-Therapeutin in meiner Stadt, und ich werde ihr sagen, dass sie Reiki zu lernen hat!“

Reiki hat in diesen Tagen viel emotionale Heilung ermöglicht, für jene, die Dinge gesehen und erlebt hatten, die weit jenseits dessen liegen, was überhaupt vorstellbar ist.

——-

Übersetzung aus dem Amerikanischen: F. Rudnick/O. Klatt

Foto © Thomas Pyttel – Fotolia.com

Reiki Anbieterverzeichnis

Hier finden Sie Reiki-Angebote für Anfänger und Fortgeschrittene nach Postleitzahlen geordnet in
Deutschland, Österreich und Schweiz >>

Gesamt-Inhaltsverzeichnis

Sämtliche Artikel aus allen Ausgaben des Reiki Magazins sind hier aufgelistet, in unserem Stichwortverzeichnis >>

Consent Management Platform von Real Cookie Banner