„Reiki hinter Gittern“ Swami Prem Jagran im Interview
Im Frühjahr 2005 erhielt der Heiler und Reiki-Meister Swami Prem Jagran die Gelegenheit, in einem Gefängnis in Italien Häftlinge in Reiki zu unterrichten. Oliver Klatt sprach im Sommer 2006 mit ihm über seine spirituelle Arbeit im Gefängnis von Montorio, Verona.
Oliver Klatt: Jagran, wie ich weiß, hast du kürzlich in einem Gefängnis in Italien Reiki-Kurse für die Häftlinge durchgeführt. Wie hat sich das ergeben? Ist man auf dich zugekommen? Oder bist du auf die Gefängnisleitung zugegangen?
Swami Prem Jagran: In Italien hat es in letzter Zeit zunehmendes Interesse an der leidvollen Situation gegeben, in der sich die Menschen befinden, die in Gefängnissen inhaftiert sind. Man begann darüber nachzudenken, was man tun kann, um diese Situation zu verbessern. So entschloss man sich, den Häftlingen u. a. mehr Kurse anzubieten. In Verona hat man überlegt, ob es auch möglich ist, Yoga- und Meditationskurse in Gefängnissen anzubieten. Schließlich hat man mich darum gebeten, dies zu tun. Die Bitte kam von einem Verein, der im Bereich „Sport und Kultur“ tätig ist und der mit dem Nationalen Olympischen Komitee in Italien zusammenarbeitet. Das NOK hat dann mit der Pädagogischen Abteilung der Direktion des Gefängnisses von Montorio, Verona, gesprochen. Dort hatte man nämlich die Absicht, nicht bloß Computer- oder Kochkurse oder Ähnliches anzubieten, sondern darüber hinaus eine psychologische und spirituelle Hilfe in Form eines Kurses zu geben. Diese Aufgabe, innerhalb eines Gefängnisses einen Kurs zu gestalten, der den Häftlingen psychologische und spirituelle Hilfe zuteil werden lässt, ist sehr viel schwieriger als die Gestaltung z. B. eines Computerkurses, der sich an die Häftlinge richtet. Man hat also eine Untersuchung durchgeführt, welche Qualitäten dafür notwendig sind, einen solchen Kurs angemessen durchzuführen, und der Leiter des Buddhistischen Zentrums in Verona, der in den Entscheidungsprozess involviert war, meinte, das sei genau das Richtige für mich und hat mich dafür empfohlen.
Oliver Klatt: Das ist ja nicht so häufig, dass ein Reiki-Meister die Möglichkeit erhält, in einem Gefängnis Reiki-Kurse zu geben. Ich finde das sehr spannend. Meine nächste Frage: Haben denn viele Häftlinge an den Kursen teilgenommen?
Swami Prem Jagran: Um hierauf zu antworten, muss ich zunächst etwas weiter ausholen. Damit du die Vision erkennst, die dahinter steht. Wenn du in ein Gefängnis gehst, dann begibst du dich damit in ein Spiel von Energien, das sehr spezifische Eigenschaften hat. Es ist so, als wenn du in ein Labyrinth eintrittst. Stell dir vor: Wenn du durch den Eingang in ein Gefängnis gehst, um zu deinem Ziel zu gelangen, das vielleicht in der Mitte des Gefängnisses liegt, dann musst du große Umwege gehen, durch viele verschiedenen Ebenen und durch viele Türen, um dorthin zu gelangen, wo du unterichten willst. Es ist ein Ort des Leidens. Alle paar Meter ist eine geschlossene Tür, mit Videokameras, mit Gefängniswärtern, du wirst ständig kontrolliert, bei jeder Schwelle, die du überschreitest. Du bist ein Außenstehender, und du kommst da rein, und diese Leiden berühren dich ganz tief, die packen dich. Und die Gefangenen leben an diesem Ort. Da die Aufgabe eines Heilers darin besteht, die Leiden eines Menschen in Frieden zu verwandeln, hat er an einem solchen Ort viel zu tun. Es heißt, dass einige der Gefängniswärter auch ziemlich böse auf die Häftlinge sind, denn auch sie, die Gefängniswärter, sind durch die Umstände, die sich durch ihre Arbeit ergeben, dazu gezwungen, täglich acht Stunden in diesem abgeschlossenen, leidvollen Raum zu verbringen. Und von Zeit zu Zeit entstehen so Situationen, Zustände, die ziemlich unangenehm sind.
Oliver Klatt: Und wie war es dann möglich, in diesen recht düsteren Umständen, angesichts der schwierigen Situation der Häftlinge, letztendlich einen Raum zu schaffen, der es ermöglicht hat, Reiki-Kurse zu geben?
Swami Prem Jagran: Es war für mich einfacher, dies damals zu tun, als es jetzt hier zu schildern, da es in gewisser Weise meine Natur ist. Zunächst habe ich darauf geachtet, nicht als Autoritätsperson aufzutreten. Und ich habe mir eine Frage gestellt: Was würde mein Lehrer*, der erleuchtet ist, in meiner Situation tun? Und die Eingebung, die mir dann sofort gekommen ist, war: Handle mit Liebe und Mitgefühl! Und wenn du diese Qualitäten noch nicht in dir entwickelt hast, dann bemühe dich ganz schnell darum, dass dies geschieht. Die Umgebung, in der ich mich dort befand, war nicht gerade unterstützend für dieses Bestreben.
Oliver Klatt: Wie kann man sich das vorstellen? Wie ist der Kurs konkret abgelaufen?
Swami Prem Jagran: An den schwarzen Brettern, den Stellen, wo die Informationen im Gefängnis angebracht sind, konnten sich die Häftlinge für die Kurse eintragen. Dort konnten sie z. B. Kurse in Computerwissen oder Kochen belegen und auch den Kurs, den ich anbot und den man mir geraten hatte, als Yogakurs zu bezeichnen, da dieser Begriff allgemein bekannt sei. Die Motivation für die Leute, an den Kursen teilzunehmen – egal um weIchen Kurs es sich dabei handelt – sei in erster Linie, so sagte man mir, einmal für ein paar Stunden aus der engen Zelle herauszukommen. Ich habe im Kurs dann erstmal damit angefangen, die Leute mit Atemtechniken zur Ruhe zu bringen … ganz sanft … Der Kurs fand zwei Mal die Woche statt, jeweils fünf Stunden, fortlaufend, drei Monate lang, und irgendwann fingen die Leute an mir zu erzählen, dass sie mehr Ruhe und Frieden verspürten. Angesichts der intensiven persönlichen Leiden eines jeden Einzelnen, denen ich im Laufe des Kurses begegnete, habe ich versucht, sie darauf aufmerksam zu machen, dass es zwar Leiden gibt, bei ihnen persönlich wie allgemein im Leben, aber dass es dazu nicht einfach so kommt, sondern dass es immer einen Zusammenhang dafür gibt. Und außerdem, dass nie die eine oder andere Qualität die Oberhand bekommt, sondern dass alles immer im Gleichgewicht ist, so wie es gerade ist. Auf diese Weise habe ich versucht ihnen zu helfen, ein inneres Gleichgewicht zu finden, in der Begegnung mit dem eigenen Leiden, das ja durch die Teilnahme am Kurs nicht einfach verschwand. Später kamen sie dann nicht mehr mit der Motivation, nur ein paar Stunden außerhalb der Zelle verbringen zu wollen, sondern weil sie merkten, dass sie mittlerweile besser schliefen, dass ihre Dämonen nicht mehr so präsent wa-
ren und dass dies mit ihrer Teilnahme an dem Kurs zu tun hatte. Das waren Menschen, die eine Haftstrafe von fünf oder zehn oder gar von 40 Jahren zu verbüßen haben.
Oliver Klatt: Ich kann mir gut vorstellen, dass es einiges an Improvisation bedarf, wenn man unter solchen Umständen Reiki lehrt.
Swami Prem Jagran: In diesen Situationen, wo es um Improvisation ging, habe ich mich immer ganz auf meine Intuition verlassen und auf die Antwort, die auf die innere Frage kam: Was würde mein Meister tun? Auch mein innerer Meister.
Oliver Klatt: Hast du viele Häftlinge erreicht, mit deinem Kurs?
Swami Prem Jagran: Letzten Endes waren es zwölf, die in der Gruppe blieben. Anfangs war es ein großes Kommen und Gehen. Zwölf, das war die Zahl, die sich herauskristallisiert hat. Eine interessante Auswirkung der Energie, die jeweils im Raum präsent war, war, dass einige der Gefängniswärter mich fragten, ob es auch für sie möglich sei, an einem Kurs teilzunehmen.
Oliver Klatt: Und, war es möglich?
Swami Prem Jagran: Nein, das war nicht möglich, die Gefängnisregeln sind in dieser Hinsicht sehr streng. Es war auch eine Frage von Geld, ob ein zusätzlicher Kurs für das Gefängnispersonal stattfinden kann, vielleicht hätte der italienische Staat oder die EU es auch bezahlt, aber es gab zu viele bürokratische Hürden.
Oliver Klatt: Gab es auch Körperkontakt mit den Häftlingen, z. B. bei Reiki-Behandlungen?
Swami Prem Jagran: Ja, klar. Ich habe den Leuten gezeigt, wo und wie sie die Hände auflegen. Insgesamt habe ich die verschiedenen Lernschritte und die Phasen sehr verlangsamt, über einen Zeitraum von drei Monaten. Ich habe den 1. Reiki-Grad gelehrt, und die Leute haben das dann angewendet. Es war ein völlig anderer Zusammenhang als sonst, aber ein wunderbarer Zusammenhang. Ich hatte etwas, womit ich arbeiten konnte: die Leiden der Häftlinge, Dabei musste ich mich an die Umgebung anpassen. Für mich war es ein Abenteuer, eine großartige Erfahrung.
Oliver Klatt: Es ist sicherlich sehr unterstützend für die Häftlinge gewesen, eine regelmäßige Betreuung über drei Monate gehabt zu haben.
Swami Prem Jagran: Die Ergebnisse kamen von allein. Sie haben sich ganz natürlicherweise ergeben. Zuvor war es so gewesen, dass, wenn jemand krank war, er zur Krankenstation ging, und es ihm allein dadurch schon etwas besser ging, weil der Raum dort größer war als in der Zelle. Nachdem die ersten Häftlinge in Reiki eingeweiht waren, begannen sie damit, auch ihre Mithäftlinge zu behandeln, und es kam zu positiven Auswirkungen, wie man mir erzählte.
Oliver Klatt: Das klingt so, als wenn die Häftlinge, die bei dir Reiki erlernt haben, auch in der Zeit nach dem Kurs Reiki weiter angewendet haben. Warst du nochmals in dem Gefängnis seitdem?
Swami Prem Jagran: Es war mir nicht möglich, einen weiteren Besuch dort zu machen. Aber ich stehe im Briefwechsel mit einigen der Häftlinge. Und die Briefe, die ich erhalte, gehen mir sehr zu Herzen, besonders bei einem der Häftlinge, derjenige, der eine Haftstrafe von 40 Jahren zu verbüßen hat. Er war zu Anfang sehr böse gegen sich selbst gewesen, aus einer ganzen Reihe von Gründen. Ein junger Mann, erst 22 Jahre alt, ein Russe. Bis zu seinem 60. Geburtstag soll er im Gefängnis bleiben. Nachdem wir uns im Kurs begegnet sind, hat er mir hinterher geschrieben, dass er nun anfängt, Frieden in sich selbst zu finden und dass er sein Leben in meine Hände gebe. Dies sind Zusammenhänge, die man kaum in Worte fassen kann. Wenn ich mir erlauben darf, eine Bemerkung zu dieser Erfahrung zu machen: Wir sind sehr dazu geneigt, die Leute zu verurteilen, mit erhobenem Zeigefinger: Du hast qeklautl Du hast eine Übeltat begangen! Aber ich erinnere mich an einen Jungen, dem ich gesagt habe, als ich im Gefängnis unterrichtet habe: Reiki, wenn du das jeden Tag praktizierst – und hier hast du viel Zeit dafür -, dann lehrt dich Reiki, dass es zwei Gefängnisse gibt: eines ist das, in dem wir gerade sind. Und was dies angeht, so kann ich dir nicht helfen da rauszukommen. Aber das zweite Gefängnis ist ein mentaler Knast, und hier kann Reiki dich befreien! Und er hat mich mit ganz weiten, offenen Augen angesehen, voller Hoffnung. Aber dann habe ich gesagt: Glaub‘ mir nicht Prüfe es selbst nach! Ob es wahr ist, was ich sage.
Oliver Klatt: Und wie endete der Kurs schließlich?
Swami Prem Jagran: Es war sehr schön, Am letzten Tag haben sie eine kleine Reiki-Party gegeben, beim Überreichen der Zertifikate. Ich habe die Zertifikate mit fortlaufenden Nummern versehen, bis 12, da ich mir erhoffe, dass es nicht abgeschlossen ist, sondern dass es weiter gehen kann, mit 13, 14 etc. Die Direktorin der pädagogischen Abteilung des Gefängnisses hat die Auswirkungen meiner Arbeit wahrgenommen und gewürdigt. Und sie hat diese Arbeit verglichen mit der Yoga-Arbeit, die ein Meister in einem Gefängnis in Bombay geleistet hat. Er hatte dort eine Zeit lang Hatha-Yoga gelehrt, wodurch so etwas wie eine friedliche Revolution eingeleitet wurde. Aber die politischen Verhältnisse erlauben es nicht immer, Hilfe anzubieten. Ich hatte großes Glück, das machen zu dürfen.
Oliver Klatt: Ich finde das sehr spannend und einen gelungenen Ansatz, spirituell zu arbeiten. Deshalb die Frage: Gibt es schon eine Idee für eine Fortsetzung, in Verona oder womöglich an anderer Stelle, in anderen Ländern, vielleicht sogar in Deutschland?
Swami Prem Jagran: Ich habe mich entschieden, ab Oktober für längere Zeit in Berlin zu wohnen, um ein Projekt zu Ende zu führen, das ich in meinem Herzen trage seit vielen Jahren. Wenn es möglich ist, auch hier in Berlin die Situation zu verwirklichen, dass ich in Gefängnissen unterrichten kann, dann bin ich natürlich dafür bereit.
Oliver Klatt: Jagran, vielen Dank für das Interview, und ich wünsche dir viel Erfolg für deine Arbeit!
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Anmerkung:
* gemeint ist Lama Gangchen Tulku Rinpoche (Anm. der Redaktion)
Redaktioneller Hinweis: Die Antworten von Swami Prem Jagran wurden so einfach und direkt wie möglich aus dem Italienischen ins Deutsche übersetzt, um ihren umgangssprachlichen Charakter zu erhalten. Dabei wurde bewusst darauf verzichtet, Begriffe wie „Justizvollzugsanstalt“ (für Gefängnis), „Justizvollzugsbeamter“ (für Gefängniswärter) etc. zu verwenden, die – wie der Redaktion bekannt ist – in der heutigen deutschen Sprache mittlerweile eigentlich die üblichen Begriffe in diesem Zusammenhang sind.
Dolmetscher Italienisch/Deutsch: George Frederick Takis
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