„Von Mtv nach Mekka“ Kristiane Backer im Interview
Kristiane Backer war in der Anfangszeit des international bekannten Musiksenders MTV Europe eine der bekanntesten Moderatorinnen, genoss Kultstatus und prägte die Musikkultur dieser Zeit entscheidend mit. Kurze Zeit später fand sie zum Islam und ist heute eine gläubige Muslima. Oliver Klatt interviewte sie im Jahr 2010.
Oliver Klatt: Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich in meiner Jugendzeit vor dem Fernseher saß, MTV schaute, und Sie moderierten. Einige Jahre später fanden Sie zum Islam, sind konvertiert und begannen Ihr Leben neu zu ordnen. In Ihrem Buch „Von MTV nach Mekka“ schreiben Sie darüber, wie der Islam Ihr Leben verändert hat. Welches sind aus Ihrer Sicht die größten Veränderungen, die der Glaube an Gott in Ihrem Leben mit sich gebracht hat?
Kristiane Backer: Meine Perspektive hat sich verändert. Ich sehe jetzt alles in Bezug zu Gott. Ich spüre keine Leere mehr in mir. Ich frage mich auch nicht mehr, warum ich all das tue, was ich tue, wie früher manchmal. Ich habe einen Sinn im Leben bekommen: dem Guten zu dienen, Gott zu dienen.
„Weg des Herzens“
Oliver Klatt: Der Islam wird ja auch als ein „Weg des Herzens“ bezeichnet, wie ist das zu verstehen?
Kristiane Backer: Der Koran spricht sehr viel vom Herzen, was als Tor zum Höheren Selbst bzw. zum Geist gemeint ist, und schreibt dem Herzen Sehvermögen zu. „Die Meister der Herzen sind diejenigen, die mit ihren Herzen arbeiten“, erklärt der große spirituelle Lehrer Abdu Qadir al Gilani, denn „Gott schaut in unser Herz, nicht auf die äußerliche Form. Die wahre Reise ist die Reise des Herzens! Wahre Gottesnähe ist die Nähe des innersten Seins. Man erreicht sie, indem man heiliges Wissen sammelt und anwendet.“ Es kommt also auf die Reinheit des Herzens und des innersten Seins an. Das Herz soll so blank werden wie ein Spiegel, sodass es das heilige Licht reflektiert. Man kann es durch Gottgedenken oder dhikr reinigen, das bedeutet: Beten, Anrufungen Gottes, Meditationen, das Lesen heiliger Bücher und das Einhalten von Gottes Geboten.
Oliver Klatt: In Ihrem Buch beschreiben Sie ein Erlebnis, bei dem Sie am Grab eines islamischen Heiligen in Bosnien beteten und plötzlich „eine ungeheure Energie“ da war, eine „immense Kraft, die Sie fast zum Umfallen brachte“, wie Sie schreiben. Danach spürten Sie ein „heftiges, erfüllendes Liebesgefühl in der Herzgegend“. Können Sie mehr über das Wesen dieser Erfahrung sagen? War es eine Empfindung universeller Liebe, oder wie würden Sie es beschreiben?
Kristiane Backer: Ja, genau das war es: ein starkes Liebesgefühl im Herzchakra. Ich bin dort spirituell erwacht, man könnte auch sagen: wach geküsst worden. Es ist ein Gefühl, dass sich schwer in Worte fassen lässt. Vielleicht war es auch die göttliche Gegenwart? Später, im Laufe der Zeit, habe ich häufiger an heiligen Plätzen dieses wunderschöne Gefühl erlebt, das mich gewissermaßen zu den Heiligen hinzieht. Gott gibt Anfängern manchmal Geschenke mit auf den Weg, um sie zu ermutigen. Vielleicht war es auch ein Zeichen dafür, dass meine Sensibilität erweckt wurde und ich auf dem richtigen Weg war. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass es sich bei diesem Heiligen um Saltun Babak handelte, einen großen spirituellen Meister, der aus dem osmanischen Reich stammte und gesandt worden war, die Herzen der Menschen im Westen zu öffnen.
Jenseits von Worten
Oliver Klatt: Es wird ja auch von dem Segen gesprochen, den man an den Gräbern islamischer Heiliger empfangen kann, auch ,Baraka‘ genannt. Ich habe das einmal erlebt in Budapest, am Grab des Gül Baba. Mir fehlen auch die Worte, das zu beschreiben.
Kristiane Backer: Solche Erlebnisse finden jenseits von Worten statt. Es ist eine Erfahrung, ein Gefühl. Der Sufismus, die innere, mystische Dimension des Islam, wird auch ein „Geschmack“ genannt. Ich denke, es gibt diese Erlebnisse in allen authentischen spirituellen Traditionen. Gott ist universell.
Oliver Klatt: Ja, so sehe ich das auch. Ich möchte noch zu einem anderen Thema kommen: Als Reiki-Praktizierender – Reiki ist eine Form des Handauflegens, die aus Japan stammt – kennen wir fünf Prinzipien, von denen eines besagt: „Gerade heute, ärgere dich nicht.“ Sie geben in Ihrem Buch auch Ratschläge, wie man mit Ärger umgehen kann, erläutern die „muslimische Methode des Anger-Managements“, wie sie Ihnen ein befreundeter Muslim einmal näher brachte. Wie sieht diese aus?
Kristiane Backer: Der Prophet Muhammad hat einiges zu diesem Thema gesagt. Zunächst einmal gilt im Islam jeglicher Rauschzustand, der die Vernunft beeinträchtigt, als unerwünscht, ob er nun durch Alkohol entsteht oder beispielsweise durch Ärger. Jeglichen Rausch, durch den man „außer sich“ gerät, sodass man nicht mehr Herr seiner intellektuellen Fähigkeiten ist, sollte man vermeiden. Heutzutage sind viele Menschen durch „Sex and drugs and rock‘n roll“ berauscht, und auch durch Ärger. Im Rausch tut man häufig Dinge, die man hinterher bereut, wird verbal verletzend oder sogar gewalttätig. All das sollte man vermeiden. Der Prophet sagte, der Stärkere ist derjenige, der seinen Ärger kontrolliert. Und er hat uns sogar Tipps zum „Anger Management“ gegeben.
Oliver Klatt: Wie sehen diese aus?
Kristiane Backer: Der Prophet sagt: Wenn man steht, soll man sich setzen. Wenn man sitzt, sich hinlegen, also sich „herunterfahren“. Wenn das nicht hilft … Muslime machen ja vor Gebeten immer eine Waschung … dann kann man auch eine Waschung machen, oder eine Dusche nehmen. Wasser löscht Feuer, und Ärger ist ja gewissermaßen „Feuer-Energie“. Auch einfach das Gesicht waschen oder die Hände waschen hilft. Ansonsten kann man versuchen, in solchen Momenten z. B. spazieren zu gehen, um die Energie anders abzulassen und sich aus der Situation heraus zu begeben und Abstand zu gewinnen. Oder zu beten bzw. Gott anzurufen, manche sprechen gewisse Mantras. Etwas später ist es dann meist leichter, besonnener über die Dinge zu reden.
Spirituelle Entwicklung
Oliver Klatt: Diese konkreten, pragmatischen Hinweise können im entscheidenden Moment sicher gut helfen, den Ärger situativ zu bewältigen.
Kristiane Backer: Letztlich ist Ärger eine Zügellosigkeit des Egos, wobei das Ego zum Monster wird. Viele Menschen lassen sich regelrecht gehen und von dieser negativen Energie überwältigen. Wichtig ist es hingegen, das Ego in den Griff zu bekommen und negative Impulse zu beherrschen, statt sich von ihnen beherrschen zu lassen.
Oliver Klatt: Ich denke auch, dass dies ein zentrales Thema für die spirituelle Entwicklung ist. Sie haben gerade als eine Möglichkeit der Bewältigung von Ärger das Gebet erwähnt. In Ihrem Buch erläutern Sie in anschaulicher Weise alles Wissenswerte zum Islam, was Ihnen, wie ich finde, außerordentlich gut gelungen ist. Dabei gehen Sie auch auf das Gebet ein: „Je konzentrierter (hingebungsvoller), andächtiger und regelmäßiger das Gebet, desto größer der Effekt, der sich innerlich und äußerlich zeigt.“ Fällt es Ihnen leicht zu beten? Was ist das Gebet für Sie im Kern?
Kristiane Backer: Ich bete gern – und regelmäßig. Es ist eine direkte Verbindung mit Gott. Sich Gott zuzuwenden und mit Ihm zu kommunizieren. Da gibt es einmal das rituelle Gebet, bei dem das erste Kapitel des Korans mehrfach zitiert wird, das gewissermaßen in Kurzform den gesamten Islam enthält. Es gibt natürlich auch die spontanen, frei formulierten, persönlichen Gebete und die Anrufung Gottes, den dhikr, bei dem u. a. Seine schönsten Namen wiederholt ausgesprochen werden oder andere Formeln des Lobes. Viele leere Momente im Alltag nutze ich für den dhikr.
„Ich bete gern.“
Oliver Klatt: Beten Sie jeden Tag?
Kristiane Backer: Ja, klar. Das gehört dazu. Wenn ich es nicht fünf Mal pünktlich schaffe, weil ich unterwegs bin, dann fasse ich die Gebete zusammen. Persönliche Gebete kann man jederzeit zwischendurch aussprechen, und auch direkt nach dem rituellen Gebet. Gott hat uns im Koran versprochen, dass Er uns so nahe ist wie unsere eigene Halsschlagader und jedes Gebet hört und auch beantwortet, nur kann das natürlich manchmal etwas dauern.
Ich bete gern, denn ich verbinde mich in dem Moment mit Gott, und das ist ein unendlich schönes Gefühl. Es erfüllt das Herz, beruhigt die Seele, beruhigt und schenkt Vertrauen, dass alles zum Besten geschieht, bringt Hoffnung und Zufriedenheit. Gebete helfen auch, mit schwierigen Dingen umzugehen oder über „Durststrecken“ hinweg zu kommen. Ich könnte mir kein Leben ohne diese Verbindung mit dem Jenseits vorstellen. Gebete sind eine unglaubliche Stütze, verwandeln uns von innen und öffnen das Herz. Das rituelle Gebet ist einer der fünf Grundpfeiler des Islam, man sagt: der Schlüssel zum Paradies.
Oliver Klatt: Eine treffende Bezeichnung, wie ich finde. Wir haben ja viel von Gott gesprochen. Manchmal stellt sich einem die Frage, wenn man jemandem begegnet, der einer bestimmten Religion angehört und dieser ernsthaft folgt: Ist das Verständnis von Gott, das dieser Mensch hat, weit und offen genug, um auch andere Zugänge zu Gott gelten zu lassen? Wie ist das bei Ihnen? Auch wenn Ihr Verständnis von Gott durch den Islam geprägt ist: Sind Sie offen dafür, dass auch Angehörige anderer Religionen oder Menschen mit einem ganz individuellen Zugang zu Gott Teil der „großen ganzen Wahrheit“ sein können?
Kristiane Backer: Auf jeden Fall. Ich habe eine universalistische Perspektive: Einige bezeichnen Gott auch als die höhere Instanz oder Kraft. Warum nicht.
Ich respektiere auch alle Religionen und denke, dass sie alle legitime Wege zur Erlösung sind – und zu Gott letztendlich. Mir gefällt das Bild eines Kreises hierzu sehr gut. Dabei sind die verschiedenen Religionen wie Punkte auf dem Kreis, von denen aus es nur eine Richtung gibt: in die Mitte. Diese ist Gott, das Heilige, zu dem alle Wege führen, wie die Speichen eines Rades, hinein ins Zentrum.
Viele Wege zu Gott
Oliver Klatt: Würden Sie diese Sichtweise auch über die Religionen hinaus erweitern, bis hin zu ganz individuellen Zugängen zu Gott?
Kristiane Backer: Es soll so viele Wege zu Gott geben wie es Seelen gibt. Letztlich weiß es nur Gott allein. In der spirituellen Welt lauern auch Gefahren. Es gibt einen Spruch der lautet: Wer sich selbst zum Lehrer nimmt, der hat den Teufel zum Lehrer. Ich denke, der sicherste Weg ist eine der Religionen zu praktizieren in denen sich Gott uns offenbart hat. Jede Religion ist wie ein Seil der Barmherzigkeit, das wir festhalten sollten, um sicher ans andere Ufer zu gelangen.
Oliver Klatt: Wenn Sie auf Ihre Zeit bei MTV zurückschauen, wie kommt Ihnen diese damalige Lebensphase aus heutiger Sicht vor?
Kristiane Backer: Das hat damals sehr viel Spaß gemacht. Es war ein großes Geschenk für mich. Ich habe viele interessante und berühmte Menschen interviewt und persönlich kennen gelernt, bin viel gereist und habe gelernt, unter Höchstdruck Höchstleistungen zu bringen. Zum Beispiel habe ich einmal vor 70.000 Menschen moderiert, ohne darauf vorbereitet gewesen zu sein. Das alles lehne ich in keiner Weise ab, sondern bin immer noch dankbar für die Erfahrungen, die ich in dieser Zeit machen durfte. Es war alles in allem unglaublich, und dann war aber auch viel Routine und Wiederholung dabei. Meine Krisen hatte ich auch, weil eben doch viel „Show“ und wenig Tiefgang dabei waren. Und eigentlich war ich schon immer jemand, der idealistisch veranlagt ist und einen positiven Beitrag zur Welt leisten möchte.
Oliver Klatt: Sie schreiben in Ihrem Buch, wie Sie es bedauerten, dass ab einem gewissen Punkt bei MTV einfach nicht mehr drin war, in dieser Richtung …
Kristiane Backer: Ja, aber MTV ist ein Entertainment-Sender, und da passt das auch nicht wirklich rein. Jeder Mensch hat verschiedene Facetten in seiner Persönlichkeit, und ich habe auch eine spaßliebende Seite, die ich vor allem früher ausgelebt habe. Insofern war es toll bei MTV. Letztlich sind es ja alle Erfahrungen, die man im Laufe seines Lebens gesammelt hat, die einen ausmachen. Ich habe bei MTV sehr viel fürs Leben gelernt und gewonnen. Es ist ein Teil von mir, und dafür bin ich dankbar. Und ich bin auch froh, dass ich den Absprung gefunden habe.
Oliver Klatt: Sie waren im Sommer auf Postern in ganz London zu sehen, der Stadt wo Sie leben, als Teil einer Kampagne, die zum Ziel hatte, den Islam in ein positiveres Licht zu rücken. Was hatte es damit auf sich?
„Inspired by Muhammad“
Kristiane Backer: Ja, ich bin Botschafterin für die Exploring Islam Foundation und habe die Kampagne „Inspired by Muhammad“ unterstützt. Denn obwohl man in England sehr viel respektvoller gegenüber anderen Glaubensrichtungen eingestellt ist als in Gesamt-Europa, hat dort eine Umfrage gezeigt, dass 58 Prozent der Briten den Islam u. a. mit Gewalt assoziieren, und zwei Drittel mit der Unterdrückung der Frau. Das liegt daran, dass die kleine Minderheit der Extremisten, die die Lehren des Islam verfälschen und entgegen dem Koran handeln, die gesamte Diskussion in den Medien überschatten. Und die meisten Menschen beziehen ihre Islamkenntnisse nun mal aus den Medien.
Wir wollten diese Vorurteile auflösen, indem wir mit Hilfe der Poster-Kampagne einige der wahren und universellen Werte des Islam zeigten und damit eine Diskussion in Gang bringen. So ist der Islam beispielsweise für Umweltschutz, für soziale Gerechtigkeit und für die Rechte der Frau! Wichtig ist, dass man zwischen der Lehre des Islam und den verschiedenen kulturellen Ausprägungen der Muslimen unterscheidet. Ich habe mich der Essenz des Glaubens verschrieben – als Europäerin.
Oliver Klatt: Was ist für Sie heute das Wichtigste in Ihrem Leben?
Kristiane Backer: Dem Guten zu dienen – auf welche Weise auch immer. Meine Eltern und meine Freunde … ich liebe die Natur … meine Bücher … schaffe nur beides in letzter Zeit zu wenig … Das Allerwichtigste ist für mich, meine Verbindung zu Gott zu pflegen, gottbewusst zu leben. Was bedeutet das praktisch? Zum Beispiel, dass ich eine gute Beziehung zu meiner Familie habe, überhaupt zu meinen Mitmenschen, dass ich umweltbewusst lebe und meinen Beruf bestmöglich ausübe. Dieses Gottesbewusstsein idealerweise in jeder Situation, in jeder Handlung und in allen Lebensbereichen, das ist mir wichtig – zu versuchen, Gott im Zentrum meines Seins zu tragen.
Oliver Klatt: Vielen Dank für das Interview.
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Redaktioneller Hinweis: Kristiane Backers Buch „Von MTV nach Mekka“ erschien im September 2010 als aktualisierte und erweiterte Taschenbuch-Ausgabe unter dem Titel: „Der Islam als Weg des Herzens – warum ich Muslima bin“ im Allegria Verlag.
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