„Wie Heilung geschieht …“ Dr. Wayne Jonas im Interview

Wie Heilung geschieht … das hat Dr. Wayne Jonas in 40 Jahren Erfahrung mit Patienten als praktischer Arzt, als Wissenschaftler und durch die Erkundung von Medizin-Systemen verschiedenen Ursprungs ausgiebig erforscht. Oliver Klatt führte ein Interview mit ihm.

Oliver Klatt: In Ihrem Buch „Heilung geschieht von selbst“ teilen Sie Ihre Erfahrung, dass 80 Prozent aller Heilerfolge aus „der Aktivierung einer einzigartigen sinnstiftenden oder einer bedeutungsvollen inneren Behandlungsreaktion“ erwachsen. Diese Reaktion sei „zutiefst individuell“ und basiere „auf einfachen Prinzipien und Komponenten“. Können Sie mehr zu Ihrem Heilungsansatz sagen?

Heilungsorientierte Praktiken

Dr. Wayne Jonas: Bei meinem Heilungsansatz geht es darum, die Arzt/Patienten-Beziehung neu zu definieren: von einer Beziehung, wo es um die Behandlung von Krankheiten geht, hin zu einer Beziehung, die die Förderung von Gesundheit und Selbstheilung betont. Dabei werden evidenzbasierte komplementäre und lebensstilbetonte Ansätze in die konventionelle Medizin integriert. Ich tue dies unter Einsatz von heilungsorientierten Praktiken und Umgebungen, kurz: durch den HOPE-Ansatz (engl.: Healing Oriented Practices and Environments).

Der HOPE-Ansatz kann helfen, dass Therapeuten und Ärzte die Themen ihrer Patienten, die Dinge, um die es ihnen geht, besser verstehen – über die Grenzen der regelmäßigen ärztlichen Untersuchung hinaus. Dieser Ansatz baut auf dem SOAP-Ansatz auf (engl.: Subjective, Objective, Assessment and Plan). Dabei geht es um Beurteilung, subjektive und objektive Zusammenhänge und die Umsetzung eines Plans. Diesen Ansatz wenden Ärzte täglich an. 

Der Unterschied zum HOPE-Ansatz liegt auf der Ebene von Engagement und Verpflichtung seitens des Patienten. Dabei geht es im Kern um einen seitens des Patienten geführten Prozess, mit dem Ziel, dessen Werte und Ziele kennenzulernen und diese im Leben des Patienten und zu dessen Heilung einzusetzen. Die Rolle des Arztes ist es, das „Material“ dafür zur Verfügung zu stellen und den Patienten darin zu unterstützen, dass er seine Ziele erreicht.

Oliver Klatt: Was kann die konventionelle Medizin am besten? Worin ist die komplementäre Medizin am besten? Wie können wir beides in der besten Weise zusammenbringen, um daraus „eine Medizin“ zu machen?

Dr. Wayne Jonas: Die konventionelle Medizin, mit all ihren Erfolgen in den letzten hundert Jahren, ist ein auf Hightech und Krankheiten fokussiertes System, mit dem viele akute Zustände gut behandelt werden können. Was sie am besten kann? Nützliche Ergebnisse liefern und wirtschaftliche Belohnungen geben. Was leider dazu führt, dass sie von dem wegführt, was Medizin tun sollte: Menschen zur Heilung, Ganzheit und zu Wohlsein zu führen.

Wissenschaftliche Studien haben durchweg gezeigt, dass selbst wenn Menschen umfassenden Zugang zur Medizin haben und optimale medizinische Behandlung stattfindet, die Gesundheit der Bevölkerung um lediglich 15 bis 20 Prozent steigt. Der Rest hat zu tun mit Lebenssstil, Umgebung, Umwelt sowie sozialen und persönlichen Faktoren hinsichtlich Gesundheit. Viele chronische Langzeiterkrankungen haben vielfältige Zusammenhänge, es ist ihnen nicht einfach mit Pillen oder Verfahren beizukommen. Das Wesen solcher Erkrankungen erfordert es, dass sie mit einem ganzheitlichen Ansatz behandelt werden, bezogen auf die ganze Person – ein Ansatz, den die integrative Medizin bieten kann.   

Oliver Klatt: Sie betonen in Ihrem Buch die große Bedeutung von „gesundem Verhalten” für den Heilungsprozess ein. Dieser Aspekt spielt auch im Ayurveda, der traditionellen indischen Medizin, eine große Rolle; ebenso in der traditionellen chinesischen Medizin (TCM). Gesundes Verhalten kann es möglich machen, Krankheiten zu vermeiden. Und es ist möglich, sofern man krank ist, den Heilungsprozess durch gesundes Verhalten zu unterstützen. Aus meiner Sicht ist dies ein wichtiger Punkt, den wir Westler von den aus Asien stammenden Medizinsystemen lernen können. Sie sprechen in diesem Zusammenhang auch von „Lebensstil-Medizin“. Was genau meinen Sie damit? 

Lebensstil-Medizin

Dr. Wayne Jonas: Verschiedene Komponenten aus beiden Systemen, dem Ayurveda sowie der TCM, wie Yoga oder Akupunktur, können „Lebensstil-Medizin“ ausmachen – weil sie ein Teil des Schnittpunktes sind zwischen medizinischer Fürsorge und Selbstfürsorge. Dort, wo die konventionelle Medizin und Verhaltensweisen wie Ernährung, Bewegungsübungen und Stress-Management sich überlappen, wird sichergestellt, dass alle Aspekte des Lebensstils eines Menschen ihn in seinem Heilungsprozess unterstützen. 

Oliver Klatt: In einem Kapitel Ihres Buches geht es um Wunder. Sie beziehen sich dabei auf das Handauflegen und die Gebetsheilung. Denken Sie, dass direkte spirituelle Heilung, wie Handauflegen und Gebete, funktionieren? Was könnnen wir daraus lernen, dass es manchmal zu Heilungswundern kommt?

Dr. Wayne Jonas: Auch wenn unser Verständnis dieser Phänomene ein Mysterium bleibt, wissen wir, dass es unerklärliche Heilungsvorgänge gibt. Wenn in wissenschaftlichen Studien versucht wird, entsprechende Auswirkungen dieser anderen Dimensionen isoliert zu betrachten oder sie konkret davon zu trennen, verringern sich diese Auswirkungen oft – oder sie verschwinden ganz.

Der Physiker und Autor Dr. Larry Dossey gehört zu den weltweit versiertesten Denkern und Autoren im Zusammenhang mit wissenschaftlicher Forschung rund um Heilgebete. Er stellt fest, dass es stabile, wiederkehrende, jedoch geringe Auswirkungen von Gebeten gibt, wenn diese in randomisierten kontrollierten Studien erforscht werden. Ganz allgemein rät er dazu, spirituelle Dimensionen von Heilung den Geistlichen und körperliche Dimensionen von Heilung den Ärzten zu überlassen.

Er sagt aber auch, dass, selbst wenn Heilgebete nicht so effektiv zu sein scheinen, wie wir es gerne hätten, sie dennoch funktionieren – weshalb es gute Gründe gibt, Heilgebete weiter zu erforschen. Wenn sie uns helfen, uns ganz und geliebt zu fühlen, dann sind sie wertvoll. So wie in jeder anderen Dimension von Heilung auch, liegt hier die Kraft einzelner Komponenten des Geistes nicht in ihrem voneinander getrennten Gebrauch. Sondern sie liegt in der Gesamtantwort, die uns unser Leben durch den Einsatz dieser Komponenten gibt.

Oliver Klatt: Ein weiterer Aspekt von Heilung ist, wie Sie herausgefunden haben, ein sehr konkreter: eine heilsame Umgebung. Können Sie mehr darüber sagen, wie bedeutsam eine heilsame Umgebung für den Heilungsprozess ist – in einer Klinik, einer Arztpraxis und zu Hause?

Heilsame Umgebung

Dr. Wayne Jonas: Unsere externe dingliche Umgebung beeinflusst unseren Geist und unseren Körper auf Arten und Weisen, die uns heilen oder uns verletzen. Manchmal, einfach weil wir uns in eine heilsame Umgebung begeben, reagiert unser Körper darauf – und es geht uns besser. Und manchmal ist es die Umgebung, die uns krank macht.

Entscheidend ist es, die Außenumgebung dafür zu nutzen, mit den physischen, dinglichen Aspekten unseres Lebens verbunden zu bleiben – also mit jenen Aspekte, die man sehen, riechen, hören und berühren kann. Und diese dann mit den inneren Aspekten zu verbinden – mit jenen, die unserem Leben tiefe Bedeutung und Wert verleihen. Dies beinhaltet, achtsam dafür zu sein, wie unser Körper und unser Geist auf den Raum reagieren, in dem wir sind, um Gesundheit zu bewahren und wiederherzustellen.

Was die Räume in Kliniken angeht, so hat natürlich auch dort die Umgebung großen Einfluss auf unsere inneren Heilkapazitäten. Kliniken wurden gebaut, damit Behandlungen durchgeführt werden können – nicht, um eine heilsame Umgebung zu schaffen, die einen Menschen mental, emotional und spirituell unterstützt. Aus Studien wissen wir aber, dass es jenen Patienten, die Zugang zu natürlichem Licht und zu Aufenthalt in der Natur haben sowie jenen, die einen Raum für sich haben, in vielerlei Hinsicht besser geht.     

Oliver Klatt: Sie erwähnen in Ihrem Buch drei entscheidende Faktoren, die – generell betrachtet, über alle Grenzen hinweg – Heilung hervorrufen: Erstens: Rituale, die einem Menschen helfen, sinnvolle Erfahrungen zu machen. Zweitens: die Unterstützung der ganzen Person. Und drittens: eine beständige Belebung und Anregung der Person. Auch wenn die Behandlungsformen und Therapeuten von Patient zu Patient sehr unterschiedlich sind, was die verschiedenen Kulturen, zugrunde liegende Theorien und Behandlungsorte angeht, so scheinen die inneren Prozesse doch letztlich dieselben zu sein. Können Sie ein Beispiel dafür geben? 

Heilungsrituale

Dr. Wayne Jonas: Ja, ich hatte einen Patienten, der sich im Kampf eine schwere Gehirnverletzung zugezogen hatte, für die es keine Abhilfe gab. Er litt unter Ängsten, Schlafstörungen und anderen schwierigen Symptomen. Ich versuchte, ihm mit verschiedenen Medikamenten zu helfen, mit Körpertherapie, Gruppentherapie, individueller psychologischer Beratung und Musiktherapie. Nach einiger Zeit ging es ihm etwas besser, jedoch nur geringfügig.

Ein paar Monate später sah ich ihn wieder. Nun sah er aus, als würde es ihm sehr viel besser gehen. Die Behandlungsform, die bei ihm gut gewirkt hatte, war, wie sich herausstellte, hyperbare Oxygenierung. Ich war wie vor den Kopf gestoßen – hatten Studien doch gezeigt, dass diese Art von Behandlung nicht wirksam ist. Aber nachdem ich mit ihm gesprochen hatte, wurde mir klar, warum sie bei ihm gewirkt hatte.

Er beschrieb eine Art von Ritual, dem er sich unterzogen hatte. Dieses hatte zugrunde liegende Mechanismen von Heilung ausgelöst – weil er davon ausging, dass dem so war. Außerdem schufen die Krankenschwestern, die Ärzte und andere Patienten eine Atmosphäre, die diesem Glauben eine soziale Bedeutung gaben. Die Mitglieder der Gruppe, die sich dieser Art von Behandlung unterzogen und zu denen er gehörte, teilten ihre Erfahrungen miteinander. So füllten sie das Ritual mit kultureller Bedeutung auf. Und schließlich wurde diese Erfahrung von Heilung – indem er das „einatmete“, was für ihn hyperbare Oxygenierung war – wiederholt, verstärkt und konditioniert, in seiner Erfahrung und in seinem Körper. Das Gehirn dieses Patienten wurde Woche für Woche durch soziale und klassische Konditionierung getrimmt.  

Oliver Klatt: Dr. Jonas, für die Auswahl eines Arztes oder einer Klinik nennen Sie drei Schlüsselaspekte, die für eine „gute kollaborative Gesundheitsbeziehung“ stehen: Fürsorge, Kompetenz und Glaubwürdigkeit (engl.: Care, Competence & Credibility).

Dr. Wayne Jonas: Ja, es ist wichtig, dass Ihr Arzt kompetent und glaubwürdig ist. Trauen Sie sich ruhig, Ihren Arzt nach seiner Ausbildung, seiner Erfahrung und seinen besonderen Fähigkeiten zu fragen. Diese bilden die Grundlage für die Praxis eines Arztes. Es ist entscheidend, dass sie in richtiger Weise ausgebildet wurden und erfahren darin sind, ihren Patienten eine sichere Fürsorge angedeihen zu lassen.

Jedoch sind Ausbildung und Erfahrung, auch wenn sie wichtig sind, nicht das einzige, wonach Sie Ausschau halten sollten. Ihr Arzt sollte auch fürsorglich sein. Ebenso können Sie ihn zum Beispiel nach seiner Sichtweise bezüglich ganzheitlicher oder integrativer Medizin fragen. Wenn ein Arzt Ihnen sagt, dass alternative Methoden wertlos sind oder dass ganzheitliche Medizin Zeitverschwendung ist, dann ist er vielleicht nicht der Richtige für Sie.

Aber wenn er oder sie willens ist, die medizinische Forschungslage für Sie ernsthaft auszuwerten und einzuschätzen und sich wirklich um Sie kümmert, dann kann er oder sie eine wertvolle Rolle in der Zusammenarbeit mit Ihnen spielen. So zeigt sich, dass ein Arzt sich ausreichend um Sie und Ihre Reise der Heilung kümmert, und so kann er ein wirklich guter Partner in diesem Prozess sein.

Außerdem ist es wichtig, darauf zu achten, wie die Mitglieder des Teams des Arztes Sie behandeln. Erscheinen sie kompetent? Trauen Sie ihnen? Fühlen Sie sich gut versorgt und gehört? Und, ganz wichtig: Sind sie ehrlich mit Ihnen, bezüglich dessen, was Sie brauchen? Auch wenn das vielleicht nicht das ist, was Sie wollen? 

Glaube, Lernen, Bekräftigung

Oliver Klatt: In wenigen Worten, aus Ihrer Sicht, auf den Punkt gebracht: Welches sind die Komponenten, die in allen Medizin- und Heil-Systemen zu finden sind, ob traditionell oder modern, und die erklären können, wie Heilung funktioniert?

Dr. Wayne Jonas: Wenn Heilung stattfindet, dann oft auf der Basis von Glaube, Erwartungen, sinnvollem sozialen Lernen sowie Stärkung, Bekräftigung oder Konditionierung. Dies sind die zugrunde liegenden Mechanismen für einen Großteil menschlicher Heilung.

Oliver Klatt: Danke für das Interview.

Übersetzung aus dem Amerikanischen ins Deutsche: Oliver Klatt

Copyright Foto Wayne Jonas: Dominic Arizona Bonuccelli

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